Detox, Entgiften, Entschlacken & Co. – Was bringt es wirklich?

Kapitel 5

5. Aber warum “funktionieren” Detox- bzw. Entgiftungskuren scheinbar?

Foto by  Elena Koycheva
Foto by Elena Koycheva


Alles schön und gut, aber man hört doch immer wieder ganz euphorische Erfahrungsberichte?! Irgendwie scheint es ja dennoch zu funktionieren…

Nicht alles ist so, wie es auf den ersten Blick aussieht. Nur weil der Horizont flach ist, ist die Erde auch keine Scheibe. Man braucht einfach ein komplexeres Verständnis von Körper, Ernährung und Psychologie. Thinking outside the box quasi.

Von außen betrachtet purzeln vielleicht schnell die Kilos, aber der Grund dafür ist nicht das, was Hersteller in ihrer Werbung erklären.

Was wirklich dahinter steckt, ist ziemlich einfach:

5.1. Kaloriendefizit

Es ist nur eine logische Konsequenz, dass du abnimmst, wenn du weniger isst als üblich: Statt Pizza und Pasta plötzlich nur Tee, gesund aussehende Smoothies etc. . Im Grunde stellst du deine Ernährung ganz einfach um, sodass du in einem Kaloriendefizit bist. Bei einem Kaloriendefizit isst du weniger Kalorien als du verbrauchst. So nimmst du ab.

Kaloriendefizit (Du nimmst ab):  
Kalorienverbrauch > Kalorienzufuhr

Hier ein Vergleich der Kaloriendichte verschiedener Lebensmittel:

Du tauschst quasi den Schokoriegel gegen die Selleriestange. Das, was man dir als “Entgiftung” verkauft, ist letztendlich nichts anderes als eine extreme Diät.

Je nach Detox-Diät kann dies extreme Ausmaße haben und Nachwirkungen mit sich ziehen.

Extreme Kaloriendefizite sind Stress für den Körper. Der weibliche Körper reagiert darauf besonders sensibel. Entsprechend wird vermehrt das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet (36,37).

Stress kann wiederum dazu führen, dass dein Essverhalten außer Kontrolle gerät und du die schnelle Gewichtsabnahme durch Heißhungerattacken wieder zunichte machst. Das liegt nicht zwingend an deiner mangelnden Selbstkontrolle. Vielmehr erhöht Cortisol den Appetit (38). Dein Körper kennt keine Fitnesstrends und Detox-Diäten. Für ihn ist das, was du machst, schlichtweg verhungern. Entsprechend versucht er alles, um dich zum essen zu bringen.

Dank der extremen Hungerkur geht es dir einfach nur schlecht. Ironischerweise nutzen einige Hersteller diese Reaktionen deines Körpers für ihre Werbeaussagen: Diese “Nebenwirkungen” seien ein erwünschtes Anzeichen dafür, dass die Kur wirkt. Nach dem Motto “Du fühlst dich miserabel, weil dein Körper gerade alle Gifte aus deinen Zellen zieht”.

5.2. Wasserverlust

Foto by Amy Shamblen
Foto by Amy Shamblen

Wenig Kohlenhydrate

I.d.R. isst du in dieser Phase sehr kohlenhydratarm (Low Carb). Dabei leeren sich deine Glykogenspeicher (Kohlenhydrate, die v.a. in deiner Leber und Muskulatur gespeichert sind). Glykogen bindet fast die dreifache Menge Wasser. Diese Speicher können sich innerhalb von 24-48h leeren (ganz leer werden sie aber nicht), wenn du nicht genug Kohlenhydrate isst. Damit verlierst du dann auch das ganze gespeicherte Wasser. Gleich in den ersten Tagen zeigt die Waage 1-2 kg weniger an.

Du freust dich über den schnellen Erfolg, bist motiviert und überzeugt, dass es funktioniert, denn scheinbar tut sich ja auch sofort etwas. Nur leider nicht das, was du glaubst. Isst du nach der Kur wieder normal, füllen sich die Speicher wieder zusammen mit dem Wasser und du hast die Kilos wieder drauf (39).

Gewichtsverlust ≠ Fettverlust

Salz

Oftmals nimmst du so gut wie kein Salz mehr zu dir. Salz reguliert viele Körperfunktionen wie z.B. deinen Flüssigkeits- und Mineralstoffhaushalt. Fehlt deinem Körper Salz, versucht er sich im Gleichgewicht zu halten, indem Wasser ausgeschieden wird. In extremen Fällen kann das gesundheitlich schädlich werden. Neben dem schnellen Gewichtsverlust merkst du das z.B. an vermehrten Krämpfen.

Bestimmte Teesorten

Oftmals sollst du zusätzlich bestimmte Detoxtees trinken, oft eine Mischung aus Brennnessel-, Mate- oder grünem Tee. Obwohl grundsätzlich nichts gegen Kräutertees spricht, ist das Versprechen, dass sie dich entgiften und reinigen sollen, einfach nur ein Marketingmärchen. Diese Tees wirken ganz einfach nur harntreibend, wodurch du auch etwas Wasser verlierst.

5.3. Wenig/kein Eiweiß

Foto by Amy Shamblen
Foto by Amy Shamblen

Bei vielen Entgiftungskuren, z.B. mit Säften und Tees, isst du praktisch kein Eiweiß mehr. Eiweiß liefert deinem Körper jedoch lebensnotwendige Aminosäuren, die für allerhand Prozesse in deinem Körper unverzichtbar sind. Kohlenhydrate und Fette sind primäre Energielieferanten. Proteine dienen deinem Körper vorwiegend als Baustoff, u.a. für:

Enzyme, Hormone, Zellen, Antikörper des Immunsystems, Sehnen, Knorpel, Knochen, Haut, Haare, Nägel und Muskeln.

Ohne Eiweiß geht also nichts.

Ein Kaloriendefizit ist für deinen Körper so etwas wie eine lebensbedrohliche Hungersnot und das umso mehr:

  • je weniger Körperfett du hast (deine Energiereserven),
  • je größer dein Kaloriendefizit ist,
  • je länger du hungerst.

Um dich zu schützen, versucht er durch hormonelle Anpassungen Energie zu sparen und stellt alles ein, was nicht wirklich lebensnotwendig ist. Dazu gehört auch der Aufbau bzw. Erhalt deiner Muskulatur. Also baut er lieber deine Muskeln ab, bevor es ans wertvolle Fett geht. Auf der Waage verlierst du so zwar auch Gewicht, nur ist das neben Wasser auch Muskulatur.

Das ist ganz einfach evolutionär bedingt, um deine Überlebenschancen bei einer Hungersnot zu verbessern. Früher hätte es dich vor dem Verhungern gerettet, heute macht es das Abnehmen so schwer.   

Was sind die Folgen?

Verlierst du Muskeln statt Fett, wird deine Haut schlaffer statt straffer. Deine Cellulite wird deutlich sichtbarer, du siehst weniger definiert aus und siehst trotz Abnahme immer noch deutliche Fettpölsterchen. Sollte dein eigentliches Ziel sein, besser auszusehen, müsstest du möglichst nur Fett verlieren und Muskulatur erhalten. Das geht nur mit ausreichend Eiweiß und Krafttraining und ist ein langsamer Prozess, der Geduld erfordert.

Je länger diese Entgiftungskur dauert, umso mehr sinkt auch dein Kalorienbedarf, also die Energie, die dein Körper täglich verbraucht und die du essen kannst, ohne zuzunehmen. Das ist eine völlig normale Stoffwechselanpassung deines Körpers.

Wie kommt es dazu?

Vereinfacht erklärt, setzt sich dein Stoffwechsel aus vier Komponenten zusammen:

Jeder dieser Komponenten ist adaptiv, das bedeutet, sie sind nicht fix, sondern passen sich permanent an die gegebenen Umstände an. Dazu gehört auch eine Diät oder in unserem Fall eine Detox-Kur, die im Grunde nichts anderes als eine Diät ist.

Was passiert dabei genau?

Dies sind ganz natürliche und überlebensnotwendige Anpassungsprozesse. In welchem Grad die einzelnen Komponenten sich nach oben oder unten anpassen, ist eine individuelle Sache.

Diese Anpassung ist das, was umgangssprachlich als “langsamer” oder “eingeschlafener” Stoffwechsel beschrieben wird. Es beschreibt bildlich, was Menschen beobachten: Dass es Menschen gibt, die scheinbar langsamer abnehmen und andere, die scheinbar essen können was sie wollen und nicht zunehmen. “Langsam” und “schnell” ist also nicht ganz korrekt.

Diese Anpassung dient nur einem Zweck: Energie zu sparen. Wenn du nichts isst, ist das für deinen Körper einfach ein langsames Verhungern (eine Diät ist letztlich nichts anderes als ein kontrolliertes Verhungern). Er weiß nicht, dass du glaubst, dass du dich vergiftet hast und eigentlich “etwas für deine Gesundheit tun wolltest”. Das ist ein Marketingmärchen in deinem Kopf, aber keine physiologische Tatsache deines Körpers.

Aber keine Angst, diese Anpassungen bleiben nicht, sondern normalisieren sich allmählich, wenn du wieder “normal” isst. Das ist allerdings ein sehr langsamer Prozess.  Gehst du das nicht klug an, kann es sein, dass du dich mit dem Jojo-Effekt herumschlagen darfst. Das ist gerade bei so einer Detox-Kur sehr wahrscheinlich, da du hier v.a.  Muskulatur verlierst.

Die Freude über den Gewichtsverlust war also nur von kurzer Dauer.

Wie du Muskelabbau verhindern kannst

Iss genug Eiweiß, damit dein Körper den Baustoff für deine Muskulatur bekommt (grober Richtwert: 2 g je kg Körpergewicht)!

Signalisiere durch regelmäßiges, schweres Krafttraining deinem Körper, dass er seine Muskulatur noch braucht. Wenn er weiß, dass er regelmäßig schwere Lasten bewegen muss, wird er Muskeln erhalten.

5.4. Wenig Ballaststoffe

Foto by Amy Shamblen
Foto by Amy Shamblen

Bei manchen Entgiftungskuren, wie z.B. reinen Trinkkuren oder selbst durchgeführten Darmreinigungen, isst du zu wenig Ballaststoffe. Ballaststoffe sind pflanzliche Faserstoffe, die keine oder kaum Kalorien liefern, aber wichtig für deine Gesundheit sind. Ballaststoffreiche Lebensmittel sind z.B. Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte oder Getreideprodukte.
Ein Mangel kann sich schon bald negativ auf den Dickdarm auswirken, was zu ähnlichen Symptomen wie bei einer Magengrippe führt. Abgesehen davon, dass Ballaststoffe wichtig für deine Gesundheit sind, binden sie auch jede Menge Wasser. Isst du weniger Ballaststoffe, hast du zum einen weniger Darminhalt und zum anderen weniger Wasser. Beides macht sich auch auf der Waage bemerkbar.

5.5. Motivation

Foto by Delaney Dawson
Foto by Delaney Dawson

Alles schön und gut, aber jetzt kommt der wirklich interessante Teil, der eine viel wichtigere Rolle spielt: Dein Kopf.

Gerade nach Phasen, in denen du nach Lust und Laune gegessen hast und die Quittung dafür auf der Waage siehst, bist du wild entschlossen, dass sich etwas ändern muss – und das am besten so schnell wie möglich.

Das beste Beispiel ist die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr: Noch im Dezember ist kein Plätzchen vor dir sicher. Hier ist alles erlaubt und du “gönnst” dir großzügig, was der Seele gut tut. Ab Neujahr sieht das dann gleich anders aus. Mit dem Jahreswechsel muss ein neues Leben und ein neuer Körper her. Statt Seelenfutter gibt es jetzt eiserne Disziplin und Detoxtee. Für ein paar Tage zumindest…

Es ist kein Zufall, dass im Januar die Nachfrage nach Detox, Diät & Co. boomt. Die Werbeversprechen so einer Entgiftungskur passen perfekt zu dem, was viele Frauen nach der Völlerei suchen:

Die Tatsache, dass das Konzept einer kurzen und knackigen Entgiftungskur so simpel ist, macht es sehr wahrscheinlich, dass du Erfolge siehst. Nicht, weil sie so gut funktioniert, sondern weil du konsequent ein hohes Kaloriendefizit einhältst.

Auch die erlebten Glücksgefühle sind kein Zeichen dafür, dass sich der Körper gerade im Reinigungsprozess befindet, denn beim temporären (!) Fasten können durch die vermehrte Endorphinausschüttung tatsächlich Hochgefühle und auch andere positive Effekte entstehen (40).

Der entscheidende Punkt ist hier nicht, dass deine Motivation außergewöhnlich hoch ist, sondern, dass die Handlungsbarrieren, die Diät durchzuziehen, gering sind. Motivation ist temporär und vergänglich und sinkt mit dem Grad des Aufwandes, den die Diät erfordert. Beim detoxen musst du nichts weiter tun, als dem Protokoll folgen. Kein lästiges Kalorienzählen, kein anstrengendes Training, kein Gedankenkarussell, wann du was essen darfst.

Das menschliche Gehirn ist faul, sehr faul. Es mag anstrengende Sachen  oder Dinge, die viel Energie kosten, nicht. Aus allen Handlungsalternativen wird es sich die bequemste aussuchen. Und es wird dir deine Sicht auf dich und deine Welt  so drehen, wie es am Besten in deine eigene verzerrte Wahrnehmung passt. Auch weil Umdenken und neu lernen anstrengend ist. Im Zweifel wirst du sehen, was du sehen willst, und du wirst glauben, was du glauben willst.

Wenn du eine Detox-Kur toll finden willst, dann wirst du sie auch toll finden und die schnelle Gewichtsabnahme, die begeisterten Werbeversprechen von Fitnessbarbie und dein Glücksgefühl als Beweis interpretieren. Das ist irgendwie netter als “Ich hab kaum was gegessen und dafür 200 € bezahlt”.

Das ist so wie mit der Erde und der Kugelform: Du sieht als Horizont eine Linie und dein Hirn macht daraus “Die Erde ist eine Scheibe”. Das ist einfacher als die Bewegung der Gestirne zu beobachten und daraus abzuleiten, dass man sich getäuscht hat und die Erde eigentlich eine Kugel ist. Wie du sicher weißt, findet man in der Menschheitsgeschichte ganz viele solcher Nachweise für bequeme Denkmuster.

In der Psychologie nennt sich dies das “Prinzip des geringsten Aufwandes” (41), in der Physik  “principle of least action”. Es beschreibt ein fundamentales Naturgesetz, das in sehr vielen Bereichen unseres Lebens wieder zu finden ist.

Dem Rechner, an dem du vielleicht diesen Artikel liest, deinem Smartphone, jeder App, deinem Internetbrowser, deinem Supermarkt, in dem du einkaufen gehst, jedem Fitnessprogramm und Diätprodukt liegt dieses Prinzip zu Grunde. Alles ist so designed, dass du möglichst wenig denken musst.

Im Grunde ist das auch nicht schlecht, sondern ein zutiefst natürliches, effizientes Verhalten. Kurzfristig scheint dich eine Detox-Diät schnell an dein Ziel zu bringen: Du nimmst ab.

Den Preis für den schnellen Erfolg bezahlst du erst langfristig: Du kämpfst dank dem Jojo-Effekt mit noch mehr Fett, schlaffer Haut, Heißhunger-Attacken und dem Frust darüber, “dass alles eh keinen Sinn” hat und du wieder Geld zum Fenster heraus geschmissen hast.

Ein schönes Beispiel, was man für einen Aufwand betreiben muss, um Menschen dazu zu bringen, sich anzustrengen:

https://www.youtube.com/watch?v=2lXh2n0aPyw